„Scheiben eingeschmissen und Buttersäure rein: Es hat keine vier Monate gedauert, da wurde unser Proberaum gleich wieder von den Nazis eingeklatscht“, erzählt Jan Gorkow alias Monchi – doch die Entscheidung, die Provinz von Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor als den Mittelpunkt von Feine Sahne Fischfilet zu definieren, bereut er deswegen noch lange nicht. „Natürlich wäre es an anderen Orten für uns leichter“, räumt er ein, während er aus dem Fenster des Burgerladens Grilly Idol auf die Straßen von St. Pauli blickt, „aber das gehört eben dazu, und so verliert man wenigstens nicht den Bezug zur Realität.“
„Bleiben oder gehen“ betitelte die Band im Jahr 2015 auch ihr viertes Album, denn tatsächlich hätte sich das Sextett mittlerweile die Möglichkeit erspielt, ihre Heimatstadt Rostock und die Käffer drumherum zu verlassen, um in einer Blase wie Kreuzberg oder eben St. Pauli ein deutlich stressfreieres Leben zu führen: Nachdem sie jahrelang durch linke Punkschuppen getourt waren und Vermerke im Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern gesammelt hatten, wurden die Clubs immer größer, und ihr haltungsstarker Punk mit Ska-Einschlag war plötzlich auch bei Rock am Ring gefragt. Doch dass ein Exil keine wirkliche Option ist, bewiesen sie schon im Jahr darauf mit ihrer Initiative „Noch nicht komplett im Arsch – Zusammenhalten gegen den Rechtsruck“, mit der sie zur Landtagswahl im ganzen Bundesland Konzerte, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen organisierten. „Was die Nazis schon seit Anfang der 90er verstanden haben und praktizieren, wollten wir auch machen“, kommentiert Monchi. „Wir wollten dahin gehen, wo das kulturelle Leben ausgestorben ist, um ein Gegenangebot zu dem rechten Dreck zu formulieren.“
Hört man nun ihre neue Platte, mag die Vielzahl der vermeintlich unpolitischen Songs von „Sturm und Dreck“ überraschen: Sauflieder, lokalpatriotische Bekenntnisse wie „Zurück in unserer Stadt“ oder „Wo niemals Ebbe ist“ und immer wieder Hymnen, die den Zusammenhalt preisen. „Jetzt geht es darum, den Leuten Kraft zu geben und gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen“ erklärt Monchi die Akzentuierung. „Wenn Bands Texte über Nazis machen, dann kommt das oft von außen und klingt wie eine Studienarbeit. Wir wollen in unseren Texten aber keine Phrasen dreschen, sondern persönliche Geschichten erzählen.“ Und es sind dann eben auch diese sehr privaten Erlebnisse, die sie zu so berührenden und hochpolitischen Songs wie „Angst frisst Seele auf“ führen. „Eine sehr enge Freundin rief mich an, weil eine Band namens Erschießungskommando einen Song über sie geschrieben hatte, in dem es einzig und allein darum geht, wie sie abgeschlachtet wird. Ich bin nicht nah am Wasser gebaut, aber als sie mir dieses Lied vorgespielt hat, war ich so entsetzt, dass ich weinen musste.“
Während ein Großteil der Kollegen sich mit immer trostloseren Schreckensszenarien gegenseitig überbietet, wollen Feine Sahne Fischfilet die Aktion. Sauflieder und Verbrüderung gehören dazu, wenn sie gemeinsam mit dem Fußballverein und den Pferdesportlern in Monchis Heimatdorf das Festival „Wasted in Jarmen“ organisieren, zu dem 3 000 Besucher kommen. Um auf die Leute zuzugehen, die dem Rechtsruck noch nicht komplett nachgegeben haben, braucht es Nestwärme – und womöglich ist es diese Erkenntnis, die Monchi zu seinem bisher schwierigsten Song geführt hat. „Sollte ich mal Kinder haben, will ich so sein wie ihr: Ich find’s scheiße, was du machst, aber ich steh zu dir“, singt er in „Niemand wie ihr“, einem Song für seine Eltern. „Ich wollte diesen Text unbedingt schreiben, aber ich habe lange damit gekämpft, weil ich wusste, dass er nicht halbherzig sein darf und ich komplett die Hosen runterlassen muss“, sagt er verlegen und stolz zugleich. „Aggressiv nach vorne zu texten ist einfach sehr viel leichter als einzugestehen, dass ich meine Schwester früher beklaut und die Eltern schlecht behandelt habe. Selbst mit all den Streitereien waren sie ja trotzdem sehr viel mehr an meiner Seite als die allerbesten Freunde.“ Und auch heute kann er auf sie zählen, wenn es darum geht, den von den Nazis zerstörten Proberaum wieder herzurichten.
Carsten Schrader
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